Der Blick dahinter
Worum geht es in der Kunst? – Weder um Fragen noch um Antworten. Es geht um das Sichtbarmachen von Qualitäten, die nicht das Auge allein, sondern die Sinne überhaupt und in Summe damit auch den Verstand ansprechen. Zugegeben: das Phänomen „Kunst“ ist logisch kaum fassbar, doch wir wissen aus eigenen schönen Erfahrungen von seiner konkreten Existenz.
Malerei operiert auf einer visuellen Ebene, als Kunst geht sie darüber hinaus. Und vermittelt unseren Sensoren etwas Wesentliches – was auch immer es sei, das zuvor in seiner Existenz oder Bedeutung nicht bewusst war. Genau darin liegt die Aufgabe der Kunst oder eigentlich das Geschenk, das sie uns zu machen vermag. Dem Betrachter der Bilder von Elisabeth Schreiberhuber wird dieses Geschenk offeriert – auf eine für die Künstlerin sehr typische Weise: elegant, unaufdringlich, aber doch gleichzeitig sehr direkt.
Einer eleganten Zurückhaltung ist es vielleicht auch geschuldet, dass Elisabeth Schreiberhuber erst 2007 mit dem Studium der Malerei die aktive Auseinandersetzung mit bildender Kunst zugelassen hat. Im künstlerischen Bereich war sie als Kostümbildnerin schon zuvor tätig. Projekte mit Regisseuren wie Axel Corti oder Harry Kupfer sind Hinweis auf den Qualitätsanspruch der jungen Absolventin der Wiener Universität für angewandte Kunst. Parallel war da natürlich immer schon die ernsthafte Beschäftigung mit zeitgenössischer und alter Kunst. Daraus resultierte oder – richtiger – darin manifestierte sich bereits eine bemerkenswerte Trittsicherheit im Gspür für die Schwingungen des Künstlerischen.
So ein untrügliches Gspür muss es auch sein, das Elisabeth Schreiberhuber zu ihren Bildern im schönen Sinn anstiftet. In einem Moment höchster Konzentration, der gleichzeitig ein Moment der größten Selbstvergessenheit ist, entstehen ihre frei am Blatt schwebenden Bildzeichen.
Ist der breite, der Farbe feine Linienstrukturen verleihende Pinsel einmal angesetzt, entwickelt sich die Form respektive Zeichnung in einem tänzerisch eruptiven Akt. Zenbuddhistischen Kalligrafien vergleichbar nimmt die Ausführung des Werkes den kürzesten Teil des eigentlichen Schöpfungsprozesses ein. Das innere Sammeln, das auf eine intensive Wahrnehmung einer Pflanze, einer Landschaft oder eines Gegenstandes folgt, ist selbst nur Vorstufe zu einer der grundsätzlich schwierigsten Herausforderungen: dem Loslassen aller konkreten Gedanken und bildhaften Vorstellungen. Den Weg zur konzentrierten, aber frei fließenden inneren Präsenz eröffnet meist die Musik. Klare, gleichmäßige Rhythmen am besten in Verbindung mit typisch karibischen Klängen führen Schreiberhuber am schnellsten aus dem Alltag heraus und in einen physisch gelösten Tanz hinein. Es liegt wohl am archaischen Kern dieser Musik. Er birgt das Pathos der elementaren Kräfte der Luft, des Wassers, der Erde in sich – kurz aller grundsätzlichen Dinge, verwandelt in kokette, helle und ansteckende Leichtfüßigkeit.
Willem de Kooning, bedeutender Vertreter des US-amerikanischen Abstrakten Expressionismus, hat dieses notwendige Befreien von der Welt (und den nicht nur äußerlich wirksamen Gravitationskräften) zugunsten der Freiheit des schöpferischen Aktes mit folgenden Worten auf den Punkt gebracht: “Y’know the real world, this so-called world, / is just something you put up with, like everybody else. / I’m in my element when I am a little bit out of this world: / then I’m in the real world – I’m on the beam. / Because when I’m falling, I’m doing alright; / when I’m slipping, I say, hey, this is interesting! / It’s when I’m standing upright that bothers me: / I’m not doing so good; I’m stiff. / As a matter of fact, I’m really slipping, most of the time, / into that glimpse. I’m like a slipping glimpser.”1
Und dennoch oder gerade deshalb haben Schreiberhubers Arbeiten eine innere Tektonik mit eindeutiger Erdung, obwohl keine Basis, keinerlei Landschaft angedeutet wird. Eine Tektonik, die sich unterscheidet von einer „Gebautheit“, wie sie sich in den Bildern von Markus Prachensky aus dessen kraftvollen Balken ergibt. In Schreiberhubers Arbeiten kristallisiert eine innere Festigkeit. Mit schlafwandlerischer Sicherheit wird Farbe dosiert und modelliert, wird das Kraftvolle, Bestimmte eines Motivs ebenso geschildert wie die leisen, zarten, ephemeren, ja auch „unsichtbaren“ Eigenschaften.
Die Musik spielt in diesem konkreten Stadium des Schaffensprozesses nur mehr eine Nebenrolle. Wirksam ist sie noch als Grundprinzip der Verwandlung oder Verarbeitung von Inhalten. Unabhängig aber vom Gehörten ist der Pinselverlauf nun oft melodiös und geschmeidig oder reißt abrupt ab. Einzelne Tupfer oder Pinselhiebe durchbrechen dann jäh das räumliche Ondulieren, durchstoßen mit Heftigkeit den Bildraum oder setzen schlicht ein Ende – sei es der Farbe, dem Schwung, dem Gedanken oder der Empfindung, die hier transportiert wurde. Die Formen, die hier entstehen, sind Bild und Zeichen zugleich. Bilder im Sinn von Verwandlungen äußerer Bilder in innere; Zeichen im Sinn von rhythmischen Notationen (durchaus auch musikalischer Natur), die gleichzeitig Anspielungen auf kalligrafierte asiatische Schriftzeichen sind. Hier wird auf vielen Ebenen artikuliert und kommuniziert.
Die starke Aussagekraft der Bilder von Elisabeth Schreiberhuber ist also wenig dem Abbildhaften geschuldet. Konkrete Themen – wie der Herbst, die Weinrebe, die Papageienpflanze, Afrika – sind aber unübersehbar. Rational nicht immer ganz nachvollziehbar erkennt man formale, charakterliche oder stimmungshafte Qualitäten in der vermeintlich „einfachen“, „nur“ rhythmisch und farblich akzentuierten Pinselspur.
Sonja Menches / Giese & Schweiger, Wien
1 Willem de Kooning, „Sketchbook I: Three Americans“, New York 1960, unpag., zit. nach: The Grove Book of Art Writing, hg. von Martin Gayford und Karen Wright, New York 1998.
Afrikapflanze
Afrika
Blütenrausch
Schwertilie